Vielfalt im Blick: Perspektiven auf den Ganztag

Wie gelingt gute Ganztagsbildung in Stuttgart? Diese Frage stand im Zentrum des Fachtags der AWO Stuttgart am 27. Juni 2025. Unter dem Titel „Ganztagsgrundschulen in Stuttgart – seit 2013 eine runde Sache?“ trafen sich Vertreter*innen aus Pädagogik, Schule, Verwaltung und externen Partnerorganisationen, um das Stuttgarter Modell zu diskutieren und eine Bestandsaufnahme zu leisten. Im Fokus des AWO-Workshops stand die Vielfalt der Perspektiven auf den Ganztag – und wie diese produktiv zusammengeführt werden können.


Ein Workshop, viele Stimmen: Wer war dabei?

Im Workshop waren fünf zentrale Stakeholder-Gruppen vertreten: Pädagogische Fachkräfte, Lehrkräfte, Schulleitung, Verwaltung und externe Kooperationspartner*innen. Die erste Workshop-Runde widmete sich drei offenen Fragen, um ungefilterte spontane Auffassungen zu protokolieren: „Was beschäftigt mich am meisten beim Thema Ganztag?“ Alle Gruppen betonten die Notwendigkeit klarer Absprachen, regelmäßiger Austauschformate und einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Der Mangel an qualifiziertem Personal zieht sich durch alle Ebenen – von der Betreuung über die Organisation bis zur pädagogischen Qualität. Die Bedürfnisse und Perspektiven der Kinder sollen stärker in den Mittelpunkt rücken – unabhängig von Herkunft oder sozialem Hintergrund. Eine durchdachte Tagesstruktur mit Raum für Erholung, Lernen und Spiel gilt als Schlüssel für Qualität im Ganztag. Mehr Rückzugsorte, moderne Ausstattung und kreative Lernumgebungen sind zentrale Forderungen.

Die zweite Frage lautete: „Welche Interessenskonflikte sehe ich im Ganztag?“ Vier zentrale Konfliktlinien wurden identifiziert: Unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen führen zu Unsicherheiten – wer trägt wann welche Verantwortung? Gemeinsame Raumnutzung und unterschiedliche Zeitlogiken (formale vs. nonformale Bildung) führen zu Spannungen. Eltern, Kinder, Lehrkräfte und externe Partner wiederum verfolgen teils unterschiedliche Ziele – ein Ausgleich ist notwendig. Rechtliche, organisatorische und räumliche Vorgaben erschweren flexible Lösungen und transparente Kommunikation.

„Wenn ich es sofort ändern könnte: Was würde ich am Ganztag ändern?“  Alle Gruppen fordern mehr pädagogisches und schulisches Personal – als Grundlage für Qualität und Entlastung. Gemeinsame pädagogische Tage, Austauschformate und eine gemeinsame Haltung aller Beteiligten werden gewünscht. Weniger Bürokratie, mehr Entscheidungsspielräume und flexible Modelle wie der „3-Tage-Ganztag“ stehen im Fokus.  Raumknappheit und fehlende Zeitfenster für externe Angebote sind zentrale Herausforderungen. Eine stärkere Verzahnung von formaler und nonformaler Bildung wird als Qualitätsmerkmal gesehen.


Was sagt das Ganztagskonzept?

 Im zweiten Teil des Workshops konnten die gemischten Arbeitsgruppen aus den 15 zentralen Items des Stuttgarter Ganztagskonzepts wählen. Die Arbeitsgruppen konzentrierten sich auf sieben zur vertieften Analyse:

1. Kinderschutz und Familienunterstützung

Ein standortspezifisches Konzept mit klaren Zuständigkeiten und regelmäßigen Fortbildungen wird gefordert. Alle schulischen Akteure – nicht nur pädagogische Fachkräfte – sollen einbezogen werden.

2. Rhythmisierung des Tages

Der idealtypische rhythmisierte Stundenplan ist selten Realität. Erholung ist ein zentrales Bedürfnis der Kinder – doch Personalmangel und Raumknappheit stehen dem oft entgegen.

3. Kooperation aller Beteiligten

Ein übergeordnetes Tandem von Schule und externen Partnern wird angestrebt. Gemeinsame Unterrichtsgestaltung, klare Kommunikation und faire Budgetverteilung sind zentrale Anliegen.

4. Selbstbestimmte Geschlechtsidentität

Es besteht Fortbildungsbedarf. Pädagogische Fachkräfte sollen für einen respektvollen Umgang sensibilisiert werden.

5. Elternmitwirkung

Elternbeteiligung wird ambivalent erlebt. Erfolgreich sind allerdings, wie die Erfahrung zeigt, projektbezogene, zeitlich begrenzte Partnerschaften mit klaren Themen.

6. Individuelles Lernen in offenen Unterrichtsformen

Verantwortlichkeiten müssen geklärt werden. Es braucht mehr Zeit, personelle Unterstützung und eine stärkere Einbindung der Eltern – ohne neue Ungleichheiten zu schaffen.

7. Demokratische Partizipation der Kinder

Mitbestimmung gelingt dort, wo Kinder eigene Versammlungen leiten und in Entscheidungen eingebunden werden – z. B. bei Ferienprogrammen, Ausflügen oder der Essensgestaltung.


Fazit: Ein gemeinsamer Weg für den Ganztag

Der Workshop zeigte eindrucksvoll: Die Herausforderungen im Ganztag sind komplex – aber lösbar. Es braucht:

  • Mehr Personal und Ressourcen
  • Verlässliche Kooperationsstrukturen
  • Klare Zuständigkeiten und rechtliche Rahmen
  • Stärkere Kindzentrierung
  • Mut zur strukturellen Weiterentwicklung

Antonia Eimert (Stufenkoordinatorin GTS Heumaden), Luciana Mugei (Stufenkoordinatorin GTS Wilhelmsschule, half in der Vorbereitung), Andreas Romba (Teamleitung GTS Heumaden) und Bereichsleiter der Kinder- und Jugendhilfe Dr. Harald Strauß setzten mit ihrem Workshop auf diesem Fachtag ein starkes Zeichen für eine inklusive, gerechte und qualitativ hochwertige Ganztagsbildung. Damit ist ein solides Fundament für die nächsten Schritte zur Revision des Ganztagskonzept durch die Träger der freien Jugendhilfe gelegt.

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